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Der Kleinbürger im Urlaub: Michel Houellebecqs Erzählung „Lanzarote“
Nein, ich bleibe dabei: „Die Ausweitung der Kampfzone“ und die „Elementarteilchen“ sind durchaus wichtige Romane, so sehr man sich über sie streiten mag. Die Essays und die Gedichte hingegen sind von marginaler Bedeutung, aber das ist vielleicht verzeihlich. Was allerdings die neue Erzählung „Lanzarote“ betrifft: Nun, sie kommt in einer noblen Box daher, begleitet von einem Fotobildband. Das Format suggeriert Wert und Exklusivität; der Klappentext betont zudem die parallele Veröffentlichung in Frankreich und Deutschland: Man hat es hier mit Bedeutsamem zu tun!
Aber dann: der Text. Um von den langweiligen Fotografien gar nicht erst anzufangen.
Robert Menasse rezensierte seinerzeit ein Buch Jörg Haiders mit dem Satz: „Als ich nach der Lektüre von Haiders Buch das Fenster öffnete, um zu lüften, sah ich, daß es regnete – auch das noch.“ Nun ist Houellebecq nicht Haider, doch die Rezension ist ohne weiteres übertragbar. Ich will das begründen:
Um mit einer allgemeinen Bemerkung zu beginnen: Es scheint ein Bild des modernen Autors zu geben, das eine Kontinuität der literarischen Inhalte erwartet, wie auch Houellebecq sich permanent mit Zigarette ablichten läßt, als eindeutig identifizierbare Geistes-/Körperhaltung. In diesem Sinn läßt sich dann ein einheitliches Denkkonzept des Schriftstellers aus- und per Reißzwecke dingfest machen. Denn nichts an dieser Erzählung ist neu, nichts widerspricht dem bekannten Bild des Autors Houellebecq und seinen Texten, sondern bestätigt alles Bekannte, daß man schnell sagen kann, das ist ein „echter“ Houellebecq, so kennen und lieben wir das. Man nickt das alles ab – und darüber ein.
Der Plot der Erzählung ist schnell zusammengefaßt. Da langweilt sich einer zu Weihnachten 1999 und bucht in dieser Langeweile eine Reise nach Lanzarote, im Januar des neuen Jahrtausends. Dort angekommen langweilt er sich noch mehr, trifft einen belgischen Polizisten und zwei deutsche Frauen, denen er sich mehr oder weniger anschließt. Als Tourist, „ein sensibles Wesen auf der Suche nach Glück“, bereist er nun, gelangweilt, in Begleitung die langweilige Insel und findet, nicht gelangweilt, sein Glück in der sexuellen Vereinigung mit den beiden Frauen; der Belgier steht derweil abseits und verschwindet schließlich in den Armen eine Sekte, die später in einen Kinderpornoskandal verwickelt ist. Aber da ist die bis in all ihre Einzelheiten vorhersehbare Geschichte schon wieder zu Ende.
Erzählt wird das auf siebzig Seiten in zehn Kapiteln, was nicht weiter schlimm wäre, wenn es nur etwas gäbe, was erzählt werden wollte. Anders gesagt: Houellebecq hat offensichtlich keinerlei Interesse an seiner Geschichte; es gibt nichts, was den Text des Schreibens und des Lesens wert macht. Man kann jetzt entgegnen: Wenn die Hauptfigur, zudem Ich-Erzähler, zutiefst gelangweilt ist und der Text auf diese langweilige Art erzählt wird, dann ist das ein schöner Effekt, der die Sinn-Form-Forderungen der Kritiker und Wissenschaftler aufs genaueste ausführt und ebenso untergräbt: durch Ironisierung desselben. Nun, das mag ein schöner Effekt sein, ist es aber nicht: Dafür ist der Text noch zu sehr angestrengt, insbesondere an den sexuellen Höhepunkten, die auch die Höhepunkte der Erzählung sind. Einspruch abgelehnt.
Statt dessen strotzt „Lanzarote“ von billigen Klischees, staubdummen Reflexionen über alles mögliche, dünnen Witzen und tittengeilen Begierden. Die Anmerkung auf der Boxrückseite, „Lanzarote“ sei eine „abgründige und amüsante Reiseerzählung im Ton einer Parodie“, kann nur als weiterer Kaufköder verstanden werden, denn abgesehen von der Bezeichnung „Reiseerzählung“ist nichts davon ist zutreffend – . Oder:
Doch – „abgründig“ ist der Text: Es ist der Abgrund der Kleinbürgerlichkeit, der sich hier unverhohlen eröffnet: Der Text ist schlicht und ergreifend dumm. Ein deutliches Beispiel ist die Bemerkung zum umstrittenen Jahrtausendwechsel 2000 oder 2001: „Kalender-Mathematik hin oder her, 2000 fängt mit 2 an, das sieht jeder Mensch.“ Ein unendlich borniertes, tautologisches Argument, das sich mit seiner Kleinbürgerlogik zum einen gegen jede Reflexion sperrt – verwiesen sei dazu an den Essay „Racine ist Racine“ von Roland Barthes in seinem Buch „Mythen des Alltags“ – und sich zum anderen noch selbst veralbert: 2001 fängt auch mit 2 an.
Etwas anderes und doch ähnliches sind die aus den Romanen bekannten pornographischen Elemente. Schnell sieht man: Die Stellen sind nicht wie in den „Elementarteilchen“ Teil einer in grundlegender Verdinglichung begriffenen Lebens- und Liebeswirklichkeit, sondern bloßer Selbstzweck im Stile der Boulevardblätter. Und zudem Ausdruck einer am Pornofilm geschulten Männerphantasie: zwei Frauen, die sich gegenseitig befriedigen, dann kommt der Mann hinzu und darf mitmachen, und alles verläuft zur allgemeinen Zufriedenheit: „Ich war nackt und glücklich. Ich wußte, daß ich sehr gut schlafen würde.“ Frauen existieren zudem nicht als Menschen, sondern nur als große Brüste, die man ficken kann: „Sexuell hingegen fühlte ich mich eher von den beiden Deutschen angesprochen, zwei stark gebauten Geschöpfen mit schweren Brüsten.“ Auf derartigem Niveau bewegt sich der gesamte Text.
Und „Parodie“? Wenn sich Houellebecq selbst parodieren will, dann ist ihm das gelungen, nur ist der Text damit nicht besser geworden. Oder soll man die blöden Bemerkungen parodistisch-ironisch lesen: als blankes Abbild existierender Klischees, die so vorgeführt und ironisierend entkräftet werden? Zum Beispiel die Bemerkungen über Norweger, Engländer, Franzosen, Deutsche, Eingeborene oder andere Tiere, die sich durch den Text ziehen. Exemplarisch die Beschreibung eines Papageis, „der aus runden Augen wütend die Welt betrachtete. Das Tier war beeindruckend groß – aber ich habe gehört, daß Papageien manchmal bis siebzig, achtzig Jahre alt werden, ohne jemals mit wachsen aufzuhören; manche Exemplare erreichen einen Meter Größe. Zum Glück macht eine bakterielle Erkrankung der Sache dann ein Ende.“ Das ist vielleicht lustig, aber nicht von weiterem Interesse, und findet seine Pointe vorhersehbarerweise im alles beherrschenden Negierungsdrang der Houellebecqschen Literatur. Besonders überflüssig ist die Bemerkung über die Römer: „Nach den Zeugnissen zu urteilen, die sie hinterlassen haben, waren die alten Römer eine Nation von Idioten; das hat sie nicht daran gehindert, Judäa und Griechenland zu kolonisieren.“
Um es kurz zu machen:
Die Erzählung ist gnadenloser Pop und hat nichts anderes mit sich im Sinn. Aus unerklärlicher Grundsätzlichkeit wird alles Existierende als unbrauchbar, nutzlos, mies, schwachsinnig, schlecht ... abgelehnt. Dieses Verfahren schützt den so Urteilenden vor einer übergroß gewordenen Wirklichkeit, zumal unter dem Anspruch, es selbst als Einziger am besten zu wissen: es folgt also einem subjektiven Idealismus respektive Allmachtsphantasie. Das ironisch urteilende Ich steht über den Dingen und erniedrigt sie, ohne sie für sich zuzulassen. Das ist höchst einfach und ein allseits beliebtes Verfahren der Popliteratur/-kultur. Nur leider ist es eben genau das, was die Dummheit dieser Literatur/Kultur ausmacht: daß sie nämlich unfähig ist, sich auf Probleme und Konflikte einzulassen, sondern zu allem und jedem nur NEIN sagt, weil sie das schon für Kritik hält. Bezeichnenderweise gibt es kein NEIN zu allen Arten von sexuellen Erlebnissen: zu einer solchen subjektnegierenden Konsequenz ist dann doch niemand fähig, das verbietet das Gesetz der Unterhaltung/des Spaßes/der „Freiheit“.
Die hier ausgeführte Ironiekritik ist, ähnlich wie das oben angesprochene Buch Roland Barthes`, auch nicht neu: G.W.F. Hegel kritisierte in den „Vorlesungen zur Ästhetik“ mit diesen Argumenten die Ironie der Romantiker, konkret die F. Schlegels. Mag es meinetwegen eine Ironie der Geschichte sein, daß heute im gleichen Wortlaut Literaten kritisiert werden müssen, die sich, wie Michel Houellebecq, auf die Romantik berufen.
Und was lernt uns das ganze nun? Das, was Literatur wertvoll macht, ist nicht die wertvolle Erscheinung.
An dieser Stelle habe ich fertig.
Sascha Preiß
Warum können wir bloß nie, nie geliebt werden? HOUELLEBECQ KOMPLETT:
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Abt. IDie Romane des MH: Wie ein Pathologe seziert er die Gesellschaft und notiert die Gründe ihres Sterbens |
Abt. IIAuf der Suche nach Glück im Supermarkt: MH als Dichter und Essaist |
Abt. IVDie Inszenierung des MH: Warum der Autor tot sein sollte, aber stattdessen immer lebendiger wird |
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