Zadie Smith: Zähne zeigen.
Droemer, 2001. 643 S.Familien. Geschichte. Freiheit!..und der ganze Rest
Dick. Dieser Roman ist vor allem eines: dick. Eine Schwarte, ein Kracher, eine opulente Familiensaga. Und das steht nur scheinbar im Widerspruch zu der Tatsache, daß die Verfasserin gerade 24 Jahre alt ist und daß es sich um ein Debüt handelt. Denn anders als in Deutschland, wo junge Autoren die obligatorischen, auf 200-300 Seiten aufgepumpten Selbstbespiegelungen abzuliefern haben, gibt es in England und den USA den Trend zu dicken Büchern, besonders unter den Jungen. Die Amerikaner Foster Wallace und Dave Eggers mögen als Beispiel dienen.
Zadie Smith ist in England ein Star. Sie gilt dort als Wunderkind. Schon bevor das Original unter dem Titel „White Teeth“ im Sommer 2000 erschien, übertrafen sich die britischen, eh hype-verliebten Medien selbst. Kaum ein berühmter Name, der nicht als Referenz herhalten mußte, allen voran Salman Rushdie. Warum der? Vielleicht, weil er wie Smith aus der moslemischen Welt stammt, weil er das Fremde verkörpert, den Reiz des Exotischen. Was Smith an Glamour durch Lebensgefährdung diesem gegenüber vermissen läßt, macht sie durch die Tatsache, jung, hübsch und weiblich zu sein, locker wett.
So ist schon fast erstaunlich, daß Zadie Smith tatsächlich ein sehr lesenswertes Buch zustande gebracht hat. Sie ist nicht übermäßig spannend, diese Geschichte um zwei, eigentlich drei Familien, aber der Reichtum an Figuren und Episoden, den Smith bietet, spinnt den Leser ein in ein dichtes Geflecht aus Bezügen und Motiven. Das eigentliche Thema ist die Verstrickung des Einzelnen in die Geschichte, repräsentiert durch Familien
Die Hauptfiguren des Romans sind Archie Jones und Samad Iqbal, Archetyp des englischen Kleinbürgertums der eine, bengalischer Moslem in London der andere. Das soll nicht heißen, daß diese auch die Helden der Erzählung wären, aber ganz patriarchalisch gruppiert der Roman die anderen Figuren um diese beiden Väter herum. Archie und Samad lernen einander im letzten Jahr des zweiten Weltkrieges kennen. Samad, der aus vornehmen Hause in Bangladesch stammt, ist freiwillig in den Krieg gezogen; er will den Engländern, dem alten Kolonialherren, zeigen, daß Bengalen mindestens ebenso gute Offiziere abgeben wie Engländer. Mit dem bescheidenen Archie verbindet ihn bald eine tiefe, lebenslange Beziehung, die starke Ähnlichkeit zu dem Verhältnis zwischen Don Quixote und Sancho Pansa zeigt.
Dreissig Jahre später treffen die beiden im London der 70ger erneut aufeinander. Beide sind mit deutlich jüngeren Frauen verheiratet. Samad, ein Mann mit Bildung und Ambitionen, arbeitet als Kellner in indischen Restaurant seines Vetters. Seine Frau Alsana ist energisch, rundlich, den Traditionen ihrer Heimat verhaftet, aber gleichzeitig praktischer veranlagt als ihr Mann. Die beiden haben Kinder: die Zwillinge Magid und Millat.
Archie ist nach einem mißglückten Suizid, mit dem das Buch eröffnet wird, mit Clara, der bildschönen Tochter einer Jamaikanerin und eines englischen Offiziers verheiratet, die vor dem Erlöserwahn ihrer Mutter, einer Zeugin Jehovas in Archies Arme floh. Ihre Tochter, die im selben Alter ist wie die Zwillinge, heißt Irie.
Zadie Smith gehört in die Generation Iries und der Zwillinge. Deren Aufwachsen im Londoner Stadtteil Willesden schildert sie am lebendigsten. Millat und Irie erleben hier ihre ganze Jugend. Magid hingegen wird von seinem Vater in einer Nacht-und-Nebel Aktion in die Heimat, nach Bangladesch verpflanzt. Paradoxer weise entwickelt sich Magid zu einer bis zur Hysterie überzüchteten Variante des rationalistischen Europäers, während Millat sich in London zuletzt einer kruden islamischen Fundamentalisten Truppe anschließt. Irie hingegen schafft es, die verschiedenen Traditionslinien ihrer Familie auszubalancieren.
Gespiegelt werden diese beiden Immigranten-Familien in der Sippe der Chalfens. Diese Familie aus superintelligenten Kindern, einem Crack der Genforschung als Vater und einer der kultivierten Fruchtbarkeit huldigenden Ex-Hippie Mutter verkörpert die bürgerliche britische Upperclass: liberal, intellektuell, selbstreflexiv, neurotisch. Ins Bild, das dieser Roman zeichnet, paßt, daß die Chalfens väterlicherseits Vorfahren aus osteuropäischen Ghettos haben.
Zadie Smith legt Wert darauf, daß „Zähne zeigen“ keine autobiographischen Züge trägt. Das ist gut, denn es erspart dem Leser ein weiteres Stück Popliteratur. Es ist davon auszugehen, daß in der Beschreibung von Millats, Magids, Iries und Joshuas, eines Chalfen Kindes, Aufwachsen in Willesden noch am meisten Selbst Erlebtes steckt. Aber ihre Figuren sind fiktional. Und sie müssen den Einfällen ihrer Autorin folgen. Und diese Einfälle folgen den Ideen, die Smith´s Roman bestimmen.
Besonders spürbar wird das bei der Schilderung Samads, den Smith fast gewaltsam in die Idiosynkrasien und Zerrissenheiten eines bengalischen Moslems in London hetzt, ein Mann von fünfzig, der unablässig auf öffentlichen Toiletten onanieren muß, und sich gleichzeitig in hysterischen Selbstanklagen Allah gegenüber ergeht. Es ließen sich noch viele weiter Beispiele anfügen, aber das würde gleichzeitig auch bedeuten, viele der humoristischen Elemente des Buchs aufzuzählen. Es ist nämlich nicht so, daß Zadie Smith ihre Figuren einfach der Lächerlichkeit preisgäbe. Aber es handelt sich hier eben in erster Linie um Figuren, die Smith´s Thema illustrieren. Das eigentliche Sein dieser Figuren zu ergründen, die Exploration der condition humaine, das ist für eine 21 Jährige -so alt war Smith, als sie anfing, „Zähne zeigen“ zu schreiben - vielleicht auch noch kein Anliegen.
Worin besteht denn nun ihr Anliegen? Richard Selzer hat es so formuliert: "At the simplest level the satire revolves around what does it mean to be "English."" In der Tat ist damit ein wesentliches Element dieses Romans benannt. Er ist bevölkert mit fundamentalistischen und gemässigten Moslems, Christen verschiedener Ausprägung, Atheisten, Juden aus Bangladesch, Jamaica, Osteuropa und , ja: England. London ist eine Stadt, die in Folge des Empires viel multikultureller geprägt ist als man das in Deutschland kennt. In „Zähne zeigen“ entsteht daraus durchaus kein fröhlicher Schmelztiegel der Kulturen, eher schon ein Patchwork aus den verschiedenen Elementen, ein oft schmerzhaftes Neben- und Miteinander der Identitätsbruchstücke. Wissen, Information, so sagt Smith in einem Interview, ist die einzige Lösung der dabei auftretenden Probleme.
Was diesen Roman aber noch mehr antreibt, ist die Auseinandersetzung mit dem sozialen Konzept der Familie. Wie groß ist die prägende Kraft der Familie? Wie weit kann man sich ihr entziehen? Sowohl die Kinder Samads und Archies als auch die Chalfen Kinder , aber auch deren Eltern sind hauptsächlich damit beschäftigt, gegen die Prägungen ihrer Eltern zu rebellieren, und das nur zu oft vergeblicherweise, oder aber diese getreulich weiterzugeben. Smith pointiert dieses Thema in der Figur Markus Chalfens und seiner Frau. Sie ist passionierte Gärtnerin, die an natürliche Züchtung glaubt, er hingegen ist Genforscher, der an die biologische Kontrolle der Existenz glaubt. Konzepte wie Schicksal und Zufall würden somit ausgeschlossen, ebenso eine göttliche Lenkung.
Das Buch endet mit der öffentlichen Präsentation einer genmanipulierten Maus durch Markus Chalfen, die zum tragisch komischen Zusammentreffen aller Figuren führt. Christliche, moslemische und Öko-Fundamentalisten versuchen die Veranstaltung zu torpedieren. Während alle spüren, daß es hier letztlich um die Selbstermächtigung des Menschen über sein Schicksal geht, sind sie doch gefangen in ihren eigenen Lebenslinien, die unvermittelt auf einander stoßen.
Zadie Smith hat keine großen philosophischen Konzepte anzubieten. Aber die Unbefangenheit, die Ernsthaftigkeit und der Humor, mit denen sie über die Gegensätze zwischen Selbstbestimmung und Traditionen, zwischen Freiheit und Zugehörigkeit nachdenkt, ist erfrischend. Schön wäre es, wenn bei ihrem nächsten Buch die Ideen etwas in den Hintergrund und die Menschen etwas in den Vordergrund rückten. Ulrich Klammt
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